Von Handtäschchen und Lamas

Amberg, 6.4.2018 (ue) Wie bekannt, entschloss ich mich dieses Jahr auf die OSEM zu verzichten und stattdessen an den Grenke-Open teilzunehmen. Ich wählte die mittlere Gruppe, das B-Open. Nach unkomplizierter Anreise mit PKW erreichte ich meine prima Unterkunft in Stutensee, 7 km außerhalb. Die Weiterfahrt zur Schwarzwaldhalle im Herzen von Karlsruhe war dann allerdings kompliziert. Eine Unzahl von Großbaustellen in der City wäre ohne Navi oder ersatzweise kompetenten Beifahrer kaum zu meistern gewesen. Ich musste mehrfach abweichend vom Navi-Vorschlag entgegengesetzt abbiegen. Die Ansage „Routenneuberechnung“ klingt noch immer in meinen Ohren.

Mit entsprechendem Zeitpuffer kam ich dennoch mehr als pünktlich zur Runde 1 am Gründonnerstag an. Ich war natürlich in der unteren Setzlistenhälfte und die einkalkulierte Auftaktniederlage kam dann auch. Gegen einen ca. 30-jährigen Schweizer kam ich aus dem Mittelspiel mit einem schwachen Isolani, der später geschnappt wurde und der Rest war Technik. Mitten in der Nacht, so gegen 23 Uhr, musste ich wieder zum Appartement zurückfinden, was wegen der Baustellen anspruchsvoll war. In einem großen 2-spurigen Kreisel war ich gezwungen falsch abzubiegen und fand mich plötzlich im Industriegebiet Karsruhe Durlach wieder. Anfänglich wunderte ich mich noch über eine elegante junge Dame, welche die Straße überquerte und für ein Industriegebiet völlig overdressed war. Als bald danach mir immer wieder junge Damen mit Handtäschchen zuwinkten, weil sie unter der exotischen Autonummer AS Kundschaft vermuteten, war mit klar, wo ich gelandet war.

Lamas zwischen den ZügenBei der Vormittagsrunde am Karfreitag wurde mir ein 16-jähriger aus der Region zugelost. Im Endspiel hatten wir Materialgleichheit bei leicht vorteilhafterer Stellung für mich. Da ich nicht mit zwei kreisrunden Ergebnissen ins Turnier starten wollte, nahm ich letztendlich ein Remisangebot an. Das Bombenwetter lud zu einem sonnigen Spaziergang ein. Dabei begegnete ich u.a. Anand. Angesprochen habe ich ihn nicht. Der Mann ist sicher dankbar, seine Ruhe zu haben. Und weil das Kongresszentrum direkt an den Karlsruher Zoo grenzt, hatte man dabei schöne Einblicke. Die Einblicke steigerten sich dann am Nachmittag. Ich hatte gegen einen 30-jährigen Norweger aus Oslo anzutreten und saß so, dass ich im angrenzenden Lamagehege die Lamas spucken sah. Im späten Mittelspiel machte ich eine miscalculation (englisch war notgedrungen unsere Brettsprache) und danach war die Stellung aufgabereif.

Ab Samstagvormittag hatte ich drei Kinder in der Reihe. Zunächst wurde mir eine schweizer Jugendmeisterin zugelost, die es mir 20 Züge lang schwer machte, danach aber einen Läufer einstellte und dann auch noch eine Springergabel übersah. Die erste Gewinnpartie. Nachmittag spielte ich gegen die Schwester vom Sensationssieger des A-Open, Vincent Keymer. Ich hatte schwarz und konnte in Alt-Benoni überleiten und merkte, dass sie mit dieser Eröffnung unerfahren war. Aber denkste. Im Mittelspiel bewies die DWZ-leicht-Überlegene ein überdurchschnittliches Schachverständnis für ihr Alter (11) und bot mir nach gut 20 Zügen ein Remis an. Beeindruckt nahm ich es an. Zwischenzeitlich hat auch der Bruder vorbeigeschaut und verweilte auch eine zeitlang. Parallel dazu spielte auch die Weltspitze in der Haupthalle (das B- und C-Open fand in der Parallelhalle, der sogenannten „Gartenlaube“ statt). Deren Partien habe ich jedoch kaum verfolgt. Ich hatte genug mit meinen eigenen Partien und deren Verarbeitung zu tun. Wie man sieht, gab es bei freiem Eintritt genug freie Plätze direkt vor den Spielern. Man konnte sich auch einen Kopfhörer ausleihen und somit parallel die Spieler sehen + kommentiert die Stellungen auf der Leinwand .

Der Ostersonntag sollte mein schwarzer Sonntag werden. Zunächst bekam ich einen bärenstarken 12-jährigen aus der Region. Die Eingangs-DWZ oder ELO war schon lange kein Kriterium mehr, um die Gegener zu beurteilen. Diejenigen, die nur ein bissl Schach spielen wollten waren im C-Open. Im B-Open war jeder ernst zu nehmen. Zwar kam ich mit einem Mehrbauern ins Turm-Endspiel (,der laut Fritz aber nichts wert war). Das wahrscheinliche Remis habe ich dann selbstverschuldet verdaddelt und musste nach 5 Stunden die Hand reichen. Nach der somit recht kurzen Mittagspause, war ich offensichtlich nicht ganz reif für eine zweite Partie; anders kann ich es mir nicht erklären. Ich spielte meine schlechteste Partie und machte als Schwarzer im Sizilianer Züge, die mir eigentlich fremd sind.

Der Folgetag und somit letzte Tag war genau das Gegenteil. Die 8. Partie war meine Stärkste. Mit Reti als Weisser traf ich durchgehend gute Entscheidungen und hatte am Ende einen Mehrbauern + aktiven Turm gegen einen passiven Turm. Die Aufgabe des Gegners kam schnell. Die letzte Partie war anschließend eigentlich die Spektakulärste. Mein Gegner aus Freiburg war auf Mattangriff gepolt und verzichtete sehenden Auges auf Materialgewinn (Damengewinn + Mehrbauer gegen Springer und Turm). Ein mächtiger Angriff seinerseits entstand. Ich hatte mehrmals only move. Aber letztendlich manövrierte er sich in eine Stellung mit Zwangsdamentausch und damit verpuffte der Mattangriff und wir einigten uns auf Remis. Der Spatz in der Hand statt die Taube auf dem Dach, wäre für ihn die bessere Strategie gewesen.

Als ich anschließend mit dem Gegner noch einige Worte über das Turnier generell austauschte waren wir uns einig: Alle Teilnehmer am B-Turnier sind unabhängig von DWZ und ELO anspruchsvolle Kontrahenten. Nur die Motivierten mit Potential treten im B statt C an. Es waren auch sehr viele aufstrebende U15-Spieler aus der angrenzenden Schweiz und Frankreich am Start. Ich bin zufrieden mit der Entscheidung, dieses Turnier einmal wahrgenommen zu haben. Ob eine Wiederholung folgt, weiß ich noch nicht. Eher ja als nein – von der Tendenz her. Falls ja, werde ich mich nicht mehr ins Industriegebiet Karlsruhe Durlach verirren, aber wohl wieder die hohen Parkgebühren (68 Euro insgesamt für die 5 Tage) aus Bequemlichkeitsgründen in Kauf nehmen. Ach ja, 3,5/9 ist das Ergebnis. Aber dass ich das nicht früher geschrieben habe, mag Indiz dafür sein, dass es eigentlich nicht vorderst darum ging, sondern im kurzen Intervall einfach viele anforderungsgerechte Partien zu haben.